Besser als die Dachterrasse des Mailänder Doms

Doch doch, auch Sie gehen in die Kirche! Lesen Sie die Gedanken von Martin Gauch, publiziert im Reformiert. Juli 2024.

Doch doch, auch Sie gehen in die Kirche! In den Ferien, in jenem Städtchen in Italien, in jene Kirche dort an der Piazza Centrale. Man nimmt seinen Hut ab. Öffnet die schwere Türe. Geht hinein und wird sogleich beeindruckt vom Wechsel der Atmosphäre und der Ruhe des Raumes.

Oder die Kapelle am Wanderweg im Wallis – Sie werden nicht daran vorbei gehen. Und für den Dom in Mailand zahlen Sie sogar Eintritt (ich empfehle Ihnen übrigens das Ticket mit Zugang zur spektakulären Dachterrasse).

Wenn Sie sich vorgängig etwas über Kirchenbau schlau gemacht haben, über Baustile und Epochen, über die Gestaltungsprinzipien dieser Räume und wenn Sie darüber hinaus noch die eine oder andere biblische Geschichte kennen, dann wird Ihr Besuch doppelt so interessant werden – man sieht ja bekanntlich nur, was man schon kennt. Und vielleicht wollen Sie gar einmal einen Gottesdienst besuchen, wenn Sie in den Ferien sind? Tun Sie das!
Auch wenn Sie nicht alles verstehen – Sie werden beeindruckt sein. Und wer schon einen griechisch-orthodoxen Gottesdienst erlebt hat, wird noch lange davon berichten…

Aber glücklicherweise leben wir hier in einer sehr schönen Gegend. Da wollen die meisten im Sommer gar nicht verreisen. Sie müssen dennoch
nicht auf neue kirchliche Erlebnisse verzichten. Besuchen Sie doch einmal einen Gottesdienst einer Gemeinschaft, einer Konfession oder einer Religion, die Sie nicht so kennen. Eine katholische Messe. Ein freikirchlicher Gottesdienst. Oder vielleicht einen buddhistischen Vortrag. Seinen Horizont kann man auch zu Hause erweitern, dafür braucht man nicht in die Ferien zu fahren.

Natürlich bedingt dies Offenheit. Sie werden dafür mit neuen Aspekten von Religiosität belohnt. Können neue Zugänge zu Gott entdecken. Werden bereichert von neuen Gedanken. Oder erkennen vielleicht, was Ihnen an Ihrem Glauben fehlt. Gott zeigt sich auf so vielfältige Weise – da gibt es keine Gemeinschaft, die dieser Weite ganz gerecht werden kann. Aber Vorsicht: Dies ist kein Sightseeing. Sie werden auf Menschen treffen, die den Glauben ernsthaft leben. Das bedingt Ihren ganzen Respekt und Ihre Rücksichtnahme. Respekt bedeutet auch, dass Sie die Feier innerlich mitfeiern, das darf durchaus kritisch sein, aber nicht einfach als Tourist. Gleichzeitig dürfen Sie erwarten, dass auch Ihnen respektvoll begegnet wird. Und wenn Ihnen jemand erklären will, wie Sie zu glauben haben, dann müssen Sie nicht diskutieren. Sie können aber vielleicht fragen: «Wie ist es gekommen, dass Sie glauben, wie Sie jetzt glauben?» Sie werden staunen, auf welche Lebensgeschichten Sie treffen, und vielleicht können Sie ja auch von sich erzählen. Manchmal ist es auch gut, bei der Gemeinschaft vorgängig zu fragen, ob Sie eine ihrer Feiern besuchen dürfen.

Dies ist Ihnen alles zu abenteuerlich? Sie dürfen durchaus Ihren Dorfpfarrer um eine Einschätzung bitten. Oder besser noch, Sie machen etwas, was Sie schon lange nicht mehr gemacht haben: Sie besuchen den reformierten Gottesdienst am Sonntag in Ihrer Kirche. Sie werden staunen, wie Sie mit vielen neuen Eindrücken und Gedanken nach Hause gehen werden. Fast so, als ob Sie in den Ferien gewesen wären.

Martin Gauch, Pfarrer in Brienz

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